Mittwoch, Januar 18, 2006

Post an W. (1)

Lieber W., in Ihrer vielgelesenen Kolumne schreiben Sie:

Lieber Günther Oettinger,
Ministerpräsident von Baden-Württemberg,

eine 1 mit Stern für Ihre Forderung, mit dem Unterricht in den Schulen ?eine halbe oder eine ganze Stunde später? zu beginnen.


1 mit Stern? Und ein Bienchen ins Mutti-Heft?

In meiner Kolumne lobe ich selten. Sie lobe ich.


Nein, sowas.

Ich bin ein Opfer der Barbarei des 8-Uhr-Unterrichts, ein Teil meiner Biographie ist vollständig ausgelöscht. Ich weiß nicht, was ich um 8 Uhr lernte. Ich weiß nur, daß mich meine Mutter um 7 Uhr aus dem Schlaf riß ...

Oh mein Gott, Sie Armer... Soll ich Ihnen was erzählen? Mein Unterricht ging 7:45 los, und da ich mit dem Zug fahren musste, bin ich teilweise 5:30 aufgestanden - und ich hab mein Abitur trotzdem sehr gut geschafft. Während meines Zivildienstes musste ich früh um 6:00 auf der Dienststelle sein. Selbst an der Universität gingen die ersten Vorlesungen oftmals 7:30 los - natürlich war das nicht immer schön - aber ich hab's trotzdem geschafft, ohne einen Teil meiner Biographie auszulöschen!
Heute muss ich zwischen 7:15 und 7:30 auf Arbeit sein. Wenn ich einmal Kinder habe - was soll ich mit denen bis um 9:00 Uhr machen, insbesondere wenn man bedenkt, dass meine Frau garantiert keine Hausfrau wie in Ihrer etwas verqueren Welt sein wird, sondern möglicherweise auch schon um die Zeit arbeiten muss.

Alles hing an 8 Uhr. Der Kampf des Lebens. Keine Zeit für die biologischen Bedürfnisse zu schmusen, keine Zeit für die märchenhafte Weichheit einer Mutter, keine Zeit für einen kleinen Jungen, aus dem Schlaf aufzuwachen - ab, ab in die Schule. Wie alle Schüler war ich chronisch müde. Ich hab' den Unterricht verschlafen. Heute denke ich, daß das der Anfang von Pisa war.


Weil Sie damals den Unterricht verpennt haben und nicht ausreichend Streicheleinheiten bekommen haben, denken Sie, dass Sie heute über den frühen Schulstart jammern dürfen? Sie haben den Unterricht verschlafen. Heute denke ich, daß das der Anfang ihrer Kolumne war.

Herzlichst

Ihr F. J. Wagner


Herzlichst,

Ihr l.a.

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